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Erstellt am 12.04.2022

Was, wenn Putin sein Unvermögen bloß kaschieren will?

von Reinhard Göweil

Russlands Wirtschaftsleistung ist pro Kopf seit 2013 von umgerechnet 16.000 Dollar auf 10.200 Dollar gesunken, die aktuellen Sanktionen sind da noch nicht eingerechnet. Die sollen noch einmal zehn Prozent kosten. In absoluten Zahlen erwirtschaften 145 Millionen Russen soviel wie 47 Millionen Spanier – etwa 1400 Milliarden Dollar. Der Durchschnittsverdienst liegt bei umgerechnet 650 Euro pro Monat, das ist weniger als ein Drittel von Österreich. Dazu gibt es eine zweistellige Inflation und eine Reich-Arm-Schere, die zu den höchsten der Welt zählt, sowohl beim Vermögen als auch beim Einkommen.

Das liegt nicht an den Russen, das liegt an der Kreml-Politik

Was es derzeit gibt sind erhebliche Einkommen aus dem Export von Rohstoffen, vor allem fossiler Rohstoffe: Öl, Gas, Kohle und Metalle. 80 Prozent der Exporteinnahmen Russlands stammen aus diesen Quellen. Diese Einnahmen allerdings kommen vor allem beim Militär und den sogenannten Oligarchen an und – wenn man den US-Geheimdiensten folgt – auch bei Putin selbst. Dessen Vermögen wird von diesen Diensten auf bis zu 40 Milliarden Dollar geschätzt.

Staatliche kontrollierte Medien und ein durchgreifender Polizeistaat, gestützt auf menschenrechtswidrige Gesetze sorgen trotz dieser Disparitäten für Ruhe im Land, in manchen Fällen Grabesruhe. In der Politikwissenschaft wird dies Faschismus genannt.

Angst ersetzt Wohlstand

Nun hat es den Anschein, als ob die Kreml-Führung seine gesellschaftliche und ökonomische Erfolglosigkeit exportieren möchte, vor allem in den Hauptabnehmer EU. Alle Entscheidungen Russlands seit Beginn des Angriffskrieges zielen auf eine Schwächung der Wirtschaften in der EU und der EFTA.

Energiepreise werden in die Höhe getrieben, manchmal durch die bloße Angstmache vor einem Stopp der Lieferungen. Industrieverbände in der EU malen das Schreckgespenst eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs Europas an die Wand, sollten die Erdgaslieferungen aus Russland plötzlich ausbleiben. Wirtschaftsforscher sprechen von drohender Rezession und Massenarbeitslosigkeit.

Faktum ist, dass Russland derzeit so viel Erdgas nach Europa fördert wie seit langem nicht. Faktum ist auch, dass Russland als drittgrößter Produzent sein Erdöl mit beträchtlichen Rabatten von 20 Prozent und mehr verhökert, weil auch damit gute Gewinne winken.

Haarsträubende Fehler in Deutschland, Österreich

Mit der jüngsten Ankündigung, dass sich Gazprom von ihrer deutschen Tochtergesellschaft trennt, sowie der folgenden Treuhand-Lösung Deutschlands darauf, sorgt die russische Führung für noch mehr Chaos am Energiemarkt. Gazprom Germania betreibt die größten Erdgasspeicher und Pipelines in Deutschland und ist auch in Österreich an Gasspeichern beteiligt.

Putin nutzt clever die haarsträubenden Fehler der deutschen und österreichischen Regierung in früheren Jahren. Erst 2015, also ein Jahr nach der Annexion der Krim, erwarb Gazprom von der BASF das größte Erdgashandelsunternehmen Deutschlands inklusive Gasspeicher. 2013 begrub die OMV die geplante Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus Zentralasien unter Umgehung Russlands nach Österreich pumpen sollte. 2015 wurde Rainer Seele, von Wintershall kommend, Chef der OMV und setzte spiegelgleich zur BASF ebenfalls voll auf die Russland-Karte – Aufsichtsrat und Politik in Wien schauten mit wenigen Ausnahmen tatenlos zu.

Die EU steht aktuell also auch vor den Trümmern einer national organisierten Energiepolitik, die sich als kurzsichtig und wenig einsichtig zeigte.

Krieg ersetzt Wertschöpfung

Auch aus diesem Grund fällt es Präsident Putin leicht, wirtschaftliche Schäden in die EU zu exportieren und zwar nur durch seine verbale Ankündigungen, nicht durch Lieferstopps.

Der Grund ist klar, es geht darum, Angst und Schrecken zu verbreiten, um die Europäische Union zu spalten oder wenigstens zu schwächen.

Und zwar im gleichen Tempo, das Russland in den kommenden Jahren nach unten bringen wird.

Die aktuellen Daten: 50 Prozent der Exporte Russlands gehen in die EU. Die von Putin seit 2014 forcierte „Eurasische Wirtschaftsunion“ ist dagegen ein Rohrkrepierer. Sie steht für zehn Prozent der Exporterlöse und besteht aus Belarus und zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken.

Putin exportiert ökonomische Scherben

Die strukturelle Schwäche der russischen Wirtschaft und haarsträubende wirtschaftspolitische Fehler gepaart mit Korruption führt den Kreml in ein Dilemma. Die mineralischen Energieträger spülen 340 Milliarden Dollar in Russlands Kassen – jährlich. Ersatz dafür ist nicht in Sicht, da es an Innovationen und Wertschöpfung fehlt. Auf Dauer kann Russland nicht einmal seine Öl- und Gasförderanlagen oder seine Flugzeuge warten, es fehlt überall an Technologie.

Tausende gut ausgebildete Russen, die in der Zukunft dafür benötigt würden, haben zudem seit Beginn des Ukraine-Kriegs ihr Land verlassen – Freiheit und Innovationsfähigkeit scheinen durchaus verwandte Begriffe zu sein.

Die globalen Strategien gegen den Klimawandel, auch in China, würde in Russland in den kommenden Jahren zu einem stetigen Wohlstandsverlust der ohnehin nicht reichen Masse der Bevölkerung führen. Ein Vergleich mit einer mit EU-Hilfe prosperierenden, demokratischen Ukraine hätte politisch wohl erhebliche Sprengkraft für das „System Putin“.

Militär ersetzt Innovation

Der (oder die) Kreml-Herrscher sind dieser Entwicklung mit einem brutalen Krieg gegen die Ukraine zuvorgekommen. Die stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise erhöhen die Verkaufserlöse von Gazprom, Rosneft und den privat geführten Rohstoffkonzernen enorm. Und Europa spricht beunruhigt von seiner Gasabhängigkeit, aber wenig vom Energiesparen und der Energiewende. Es geht vor allem um die Frage, ob Europa genügend Erdgas für den nächsten Winter haben wird. Und Europa muss sehr viel mehr Geld für seine Verteidigung aufwenden. Geld, dass anderswo fehlen wird, etwa bei der Umsetzung der Energiewende.

Putin und seiner gescheiterten bzw. inexistenten Wirtschaftspolitik spielt das in die Hände – auf Kosten von Zehntausenden Toten und Millionen Flüchtlingen. So gesehen folgt er womöglich weniger einer Kriegslogik als vielmehr einer skrupellosen und unmoralischen Machtlogik. Ihm bleibt das aus Sowjetzeiten stammende Atom-Arsenal, sonst nur ein abgewirtschaftetes Land, das im zivilen Bereich nur in der Landwirtschaft einige Erfolge vorweisen kann.