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Erstellt am 10.07.2019

Die Sozialpartnerschaft, wie wir sie kennen, ist zu Ende

von Reinhard Göweil

In Österreich gehören die Sozialpartner irgendwie zum Inventar der Republik. Sie sind wie ein Möbelstück in einer Wohnung, das immer schon da war, und von dem niemand mehr genau weiß, warum und wozu. Sie seien von Wert hieß es, also stellte sie niemand in Frage.

Wertvoll sind sie in der Tat. Herzstück der Sozialpartnerschaft waren bisher die Kammern. Über deren überwiegend verpflichtende Beiträge zahlen Millionen Österreicher jedes Jahr etwa zwei Milliarden Euro in sie ein. 800 Millionen landen bei den Wirtschaftskammern, der Pflicht-Vertretung der Arbeitgeber. 450 Millionen Euro gehen an die Arbeiterkammer, knapp 100 Millionen an die Landwirtschaftskammern. Der vierte Sozialpartner Österreichs, der ÖGB, ist der Ausreißer dabei. Er finanziert sich selbst, ohne Pflichtbeiträge. Die Bilanzsumme des ÖGB liegt bei etwa 500 Millionen Euro, die Hälfte davon stammt aus Mitgliedsbeiträgen. Der „informelle Sozialpartner“ Industriellenvereinigung verfügt jährlich über geschätzte 80 Millionen Euro, ebenfalls freiwillig und aus Mitgliedsbeiträgen gespeist. (Dazu kommt neben den parallelen Wirtschaftskammer-Vertretungen noch ein ebenso Mitglieder-basierter Handelsverband, den Rewe, Spar, Hofer und die großen Ketten freiwillig finanzieren.)

Jeder Österreicher ist mehrfach vertreten

Alles zusammen recht großzügig, kann man meinen. Jeder Österreicher dürfte gleich mehrfach irgendwo vertreten sein, ohne es zu merken. Allzu großzügig, meinen die Gegner der Kammern, die vor allem in der liberalen Partei Neos und der Industrie zu finden sind. Neos-Abgeordneter und Gastro-Unternehmer Sepp Schellhorn will die verpflichtenden Beiträge, genannt Umlagen, in den Kammern vollständig abschaffen. Große Unternehmen wollen dies auch. Denn sie bemäkeln, dass diese in Wahrheit Lohnnebenkosten darstellen. Tatsächlich ist dies bei AK-Umlage für die Arbeitnehmer so und bei der Kammerumlage II der Wirtschaftskammer für Betriebe. Je mehr Beschäftigte ein Unternehmen hat, desto teurer wird der Kammer-Spaß.

Nun steht aber seit dem Ibiza-Video das gesamte politische System Österreichs auf dem Prüfstand. Die Parteifinanzen stehen unter umfassender Beobachtung, im Parlament herrscht ein „freies Spiel der Kräfte“. Also eine Situation, wie sie Österreich seit dem Staatsvertrag 1955 nicht kannte.

Für die Sozialpartnerschaft bedeutet dies, dass sie sich diesen politischen und den aktuellen wirtschaftlichen Umbrüchen anzupassen hat bzw. hätte. Doch davon später.

Arbeiter- und Wirtschaftskammer stehen mit dem Rücken zur Wand, IV zur Verfügung

Zuerst die These zur Zukunft der Sozialpartner, die mittlerweile zwar gelebt wird, aber kaum ausgesprochen wird – ein Klassiker in Österreich: Die beiden auf freiwilliger Basis stehenden und mittels jederzeit kündbarer Mitgliedsbeiträge gespeisten Sozialpartner-Institutionen sind der ÖGB und die Industriellenvereinigung.  Das sichtbarste Zeichen der Sozialpartnerschaft sind die derzeit gültigen 859 Kollektivverträge, die jährlich verhandelt werden und Löhne, Urlaube, Sonderzahlungen, Zuschläge und Arbeitszeit regeln.

Sie werden eigentlich zu Unrecht den Kammern direkt zugerechnet, weil in deren Räumlichkeiten die Verhandlungen stattfinden. Die „Kollektivvertragsfähigkeit“ liegt auf Arbeitnehmerseite bei den jeweiligen Gewerkschaften, nicht bei der Arbeiterkammer. Und auf Arbeitgeberseite sind es die jeweiligen sogenannten „Fachverbände“. Hier wird es richtig österreichisch-unüberschaubar:

Die institutionelle Arbeitgeber-Seite zerlegt sich in 93 (!) Fachverbände, die organisatorisch in die Wirtschaftskammer eingebettet sind (Personal, Büros, Telefonnummer, etc.). Offiziell sind sie aber kein Teil der Wirtschaftskammer, sondern eigenständige Körperschaften. Sie können also tun und lassen was sie wollen – wenn sie wollen.

„Die Fachverbände im produzierenden Bereich lehnen sich aus inhaltlichen Gründen stark an uns an“, ist aus der Industriellenvereinigung zu hören. Und: „Mit dem ÖGB ging es immer leichter als mit der Arbeiterkammer.“

„Wir waren 2007 gegen den Verfassungsrang für Sozialpartner. Das hat uns die Wirtschaftskammer nie verziehen.“

Im Kreis der Industriellenvereinigung ist es daher durchaus vorstellbar, als Sozialpartner eine aktive Rolle zu spielen. Die Wirtschaftskammer kontert, dass es ja ausgerechnet die Industriellenvereinigung sei, die alle Einladungen ablehnte, der Sozialpartnerschaft beizutreten. Die wiederum erklärt, dass sie durchaus dazu bereit wäre, wenn die Sozialpartnerschaft nicht mehr in Verfassungsrang wäre. Als private Organisation, dem Wettbewerb verpflichtet, sei dies eine lächerliche Vorstellung. Tatsächlich war die Industriellenvereinigung 2007, als dies beschlossen wurde, strikt dagegen. „Das hat uns die Wirtschaftskammer bis heute nicht vergessen“, so der Tenor in der Industrie.

Harte Kritik an den Kammern kommt auch vom freiwillig finanzierten Handelsverband

Noch härter ins Gericht mit den Kammern geht der Handelsverband. Der ist – der IV ähnlich – ein freiwilliger Zusammenschluss der großen Handelsketten in Österreich, der von Beiträgen der Mitgliedsunternehmen lebt. „Wir gehen mittlerweile direkt zur Gewerkschaft GPA, weil dann alles schneller geht“, sagte deren Vizepräsident Frank Hensel, derzeit Aufsichtsrat der Rewe International (Billa, Merkur, bipa, Adeg). Der Handelsverband hat nach eigenen Angaben ein jährliches Budget im niedrigen einstelligen Millionenbereich. Ein Vielfaches davon bezahlen die großen Handels-Ketten an die Wirtschaftskammer, denn sie beschäftigen in Österreich insgesamt etwa 400.000 Mitarbeiter. „Wir wollten als Handelsverband Mitglied bei Eurocommerce werden, dem EU-Interessensverband des Handels in Brüssel. Die Wirtschaftskammer hat das geblockt, das schafft schon ein Monopol“, ärgert sich Hensel. „Wir haben ja nichts gegen die Wirtschaftskammer, aber sie sollen auch beweisen müssen, was sie besser kann.“ Hensel bestätigt, dass sich die Fachverbände im Handel, die auf Arbeitgeberseite Kollektivverträge verhandeln, sich stark an den Handelsverband anlehnen. „Und wir haben immer mehr kleinere Handelsunternehmen, die trotz der Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer zu uns kommen.“

Innere Konfliktlösung zu Lasten Dritter

Ein ähnlich tiefer, aber ebenso camouflierter Riss geht durch die Arbeitnehmerseite. AK und ÖGB sind sich in Fragen der Sozialpartnerschaft oftmals alles andere als grün. Kollektivvertrags-Verhandlungen an die Arbeiterkammer zu übergeben wurde von der Gewerkschaft stets erfolgreich verhindert. Die Gewerkschaft wäre 2017 auch für eine Arbeitszeit-Flexibilisierung gewesen, bevor sie –  auch via Arbeiterkammer – von der SPÖ zurückgepfiffen wurde.

Umgekehrt hat der ÖGB seinen inneren Widerstreit zwischen den Fach-Gewerkschaften aus dem Wettbewerbs-Sektor und dem öffentlichen Bereich via Arbeiterkammer gebügelt. Grundsatz-Abteilungen wurden der Kammer verantwortet. Das erspart Debatten, warum Betriebsräte einer exponierten Firma mit Personalvertretern im öffentlichen Bereich inhaltlich wenig gemein haben. Dass in den Arbeiterkammer-Gremien Gewerkschaftsfunktionäre das Sagen haben, macht nichts. Man könnte eher sagen, es ist eine Konfliktlösung zu Lasten Dritter.

Die Veränderungen im Wirtschafts- und Arbeitsleben, ausgelöst durch Klimawandel, Digitalisierung und dem Streit um die Globalisierung, machen auch diese interne Risse nun immer deutlicher. Sie entladen sich aber nach außen.

„Wir sind eine gesellschaftspolitische Institution“, ist aus der IV zu hören

Die Kammer-Sozialpartner zeigen jeweils mit dem Finger auf sich. Die Wirtschaftskammer definiert die Sollbruchstelle an der in letzter Minute gescheiterten Einigung bei der Arbeitszeitflexibilisierung der Sozialpartner im Juni 2017. Die Arbeiterkammer klagt, dass der für Zukunftsthemen eigentlich konzipierte „Beirat“ von der Wirtschaftskammer torpediert wird. Der Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl wird SPÖ-Hörigkeit vorgeworfen, dem Wirtschaftskammer-Präsidenten Harald Mahrer Türkis-ÖVP-Hörigkeit. Erstere beklagt die schräge Vermögensverteilung in Österreich; letzterer dogmatische, an Klassenkampf erinnernde Positionen. Nun, beide haben irgendwie recht, aber dazu braucht es keine Kammer-Organisationen.

Betriebsräte werden überaus ernst genommen

Bleibt die Frage, wo ein gesellschaftspolitischer Ausgleich abseits der Straße stattfindet. „Wir haben uns immer als gesellschaftspolitische Institution verstanden“, ist aus der Industriellenvereinigung zu hören. „Das wird sich auch nicht ändern.“ So sucht die IV neuerdings das Gespräch mit den Grünen und unterstützt diskret die Initiative von Oberösterreichs Grünen-Chef Rudolf Anschober, der – von im Asylverfahren von Abschiebung bedrohte – Lehrlinge im Betrieb und Land halten will. Bei dem Thema steht die Wirtschaftskammer eher auf der anderen Seite, was viele Unternehmer schwer verärgert. (siehe http://ausbildung-statt-abschiebung.at/ )

Auf der anderen Seite sind die Betriebsräte in den Industrie-Unternehmen und größeren Handelsketten es gewohnt, gehört zu werden. Selbst wenn sich Unternehmer oder Manager öffentlich als „Sozi-Fresser“ artikulieren, so stehen sie „daheim“ ihren sozialdemokratischen Betriebsräten nicht nur zur Verfügung, sondern hören aufmerksam auf sie. Beim Thema Mitarbeiter-Beteiligung gibt es mittlerweile keine Dogmen mehr, was die Achse IV und ÖGB belastbarer macht.

„Bad Ischler Dialog“ der Sozialpartner ist Geschichte

Statt sich auf solche Gemeinsamkeiten zu stürzen, reagieren die Kammern mit Stillstand. Der jährlich im Oktober stattfindende „Bad Ischler Dialog“ der Sozialpartner wird wohl – so ergaben Gespräche mit den beteiligten Sozialpartnern – auch heuer ausfallen. Damit ist das offizielle Format, das einzige gemeinsame öffentliche Forum der Sozialpartner, Geschichte. „Wir brauchen dafür etwas Neues“, ist aus der Wirtschaftskammer zu hören. Die Arbeiterkammer ist defätistischer. „Wir haben keine Ahnung, ob und wie es mit diesem Forum weitergeht.“

Für die Öffentlichkeit war dies eine jährliche Veranstaltung, die klar machte, was die Sozialpartner gemeinsam vorhaben und vertreten. Der letzte größere Wurf war eine Bildungsreform, um   Jugendlichen auch über die Schulpflicht hinaus Lehren zu ermöglichen, und so die Zahl der Nicht-Ausgebildeten zu reduzieren. Die Zahl der Lehrbetriebe zu erhöhen gehörte ebenfalls zum Konzept. Deren Zahl ist seit 2012 allerdings von 35.256 auf 28.970 gefallen.

Sprudelnde Kammer-Einnahmen, aber keine Antworten für Ein-Personen-Unternehmen

Und in der Striktheit der historischen Absprachen zwischen den Kammern sitzen mittlerweile 300.000 Erwerbstätige zwischen den Stühlen, die als Ein-Personen-Unternehmen tätig sind. Weder Wirtschafts- noch Arbeiterkammer noch die bald zusammengelegten Sozialversicherungen haben adäquate Antworten für sie.

Dass es zu viele Lehrlinge gibt, die ihren Lehrabschluss nicht machen, harrt ebenso einer Lösung.

Liberale Wirtschafts-Plattformen wie „Agenda Austria“ kritisieren, dass sich wegen der guten Beschäftigungs-Lage der vergangenen Jahre die Einnahmen von Wirtschafts- und Arbeiterkammer weit über der Inflationsrate erhöht haben. „Rechtsschutz für Arbeitnehmer, Konsumentenschutz oder eine Außenhandelsorganisation für Unternehmen, was wir alles nicht in Frage stellen, ließe sich deutlich effizienter darstellen als in Arbeiter- und Wirtschaftskammer“, ist auch aus Industriekreisen zu hören.

 

 

Bei der Wirtschaftskammer wird auf ein gutes Beispiel verwiesen. „In Salzburg betreiben Arbeits- und Wirtschaftskammer, eben weil sie ein gutes Einvernehmen haben, gemeinsam äußerst erfolgreich Fachhochschulen, die dringend benötigte qualifizierte Menschen ausbilden.“ Und deren Präsident Harald Mahrer definierte die Sozialpartner als „Zukunfts- und Standort-Partnerschaft“. Die Arbeiterkammer kann damit wenig anfangen.

Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer, konterte dagegen die Forderung nach einer Reduzierung der Arbeiterkammer-Umlage unter anderem mit dem Argument, dass Unternehmen diese ohnehin nicht bezahlen würden. Unselbständig Erwerbstätige werden aber auch nicht gefragt, ob sie AK-Mitglied sein wollen, der Beitrag wird automatisch mit jeder Gehaltszahlung abgezogen.

Der Satz würde den von ihren freiwillig zahlenden Mitgliedern lebenden ÖGB und Industriellenvereinigung nicht einmal einfallen. Was schon Zukunft für die Sozialpartnerschaft bedeuten kann…

 

 

Für Romantiker der Link: http://www.sozialpartner.at