Diese Website verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen.
Mit der Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden. Alle Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Erstellt am 03.09.2020

Corona-Steuerstundungen stecken in Milliarden-Falle

von Reinhard Göweil

6,4 Milliarden Euro machen die Corona-bedingten Steuerstundungen bisher aus, sie wurden bis 15. Jänner 2021 verlängert. Bis dahin wird wohl noch ein bisschen was dazukommen. Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- und Lohnsteuer konnten darin gestundet werden. Die türkis-grüne Regierung, die das im März am Weg brachte, wollte damit Unternehmen und besonders betroffenen Branchen wie Gastro- und Fremdenverkehrsbetriebe aus finanziellen Engpässen helfen. Politische Sätze wie „Koste es, was wolle“, oder die unternehmensfreundlichen Aussagen der Wirtschaftsministerin führten bei vielen Unternehmen dazu, dieses Instrument gründlich zu nutzen.

Glaubhaft und einbringlich…

Wie immer liegt der Teufel im Detail. Denn die Aussage eines Politikers ist eines, die steuerrechtliche Würdigung etwas anderes. So heißt es in dem für die Stundung vorgesehenen Antrag wörtlich:

„Voraussetzung für die Anwendung der unten angeführten Maßnahmen ist in allen Fällen, dass Sie Ihre Betroffenheit sorgfältig geprüft haben und glaubhaft machen können, von einem Liquiditätsengpass betroffen zu sein, der darauf zurückzuführen ist, dass die SARS-CoV-2-Virus-Infektion negative Auswirkungen auf Ihre Tätigkeit hat. Das Finanzamt geht mit der Antragstellung davon aus, dass diese Voraussetzung bei Ihnen vorliegt.“

___________________________________________

Gewährte Stundungen (in Euro) laut BMF:

Einkommensteuervorauszahlungen       1.022.588.795

Körperschaftsteuervorauszahlungen     2.554.702.647

Zahlungserleichterungen                           2.829.418.816

GESAMT                                                          6.406.710.258

____________________________________________

„Es geht immer um die gesetzlich festgesetzte Nicht-Gefährdung der Einbringlichkeit der Steuerschuld. Wenn es keine Sondergesetze gibt, wird mit Auslaufen der Stundung der offene Betrag von der Finanz fällig gestellt. Damit hat die Behörde auch einen Exekutionstitel. Das ist der Weg“, sagte Wirtschaftstreuhänder Joseph Böck. „Denkbar und wahrscheinlich ist, dass es Vereinbarungen zu Ratenzahlungen gibt, um die Belastung der Unternehmen zu verteilen, aber das liegt im Ermessen der Finanzämter.“

Finanzämter boten von sich aus Stundungen an

Hier schlummert die nächste Falle: Wie im Antragsformular textiert, muss der Unternehmer dann die Corona-Auswirkungen „glaubhaft“ machen. Das muss er mit Fälligstellung der Steuerschuld, denn die Finanzämter haben bisher Anträge ohne ernsthafte Prüfung abgenickt. Natürlich musste es im „lockdown“ im Frühjahr schnell gehen, aber hier wurde oftmals übers Ziel hinausgeschossen, meinen Steuerberater. So haben Finanzämter von sich aus Stundungen für Steuernachzahlungen der Jahre 2018 und 2019 angeboten, wenn in diesen Jahren gut verdient wurde. (Viele Ein-Personen-Unternehmen und Kleinbetriebe machen ihre Jahresabschlüsse erst später, das sind von der Zahl immerhin 98 Prozent aller Unternehmen Österreichs.) „Diese Jahre haben mit Corona nichts zu tun“, sagte Böck. „Im Ernstfall kann das bis zu finanzstrafrechtlichen Delikten oder bei GmbH.-Geschäftsführern zur persönlichen Haftung führen, denn dies obliegt wieder der Ermessensentscheidung der jeweiligen Finanzämter.“

Ab 15. Jänner 2021 wird die Schuld verzinst

Immerhin gewährt der Fiskus die Steuerstundungen als zinsloses Darlehen, auf die Steuerschuld werden keine Zinsen verrechnet (was sonst üblich ist). Trotzdem gilt grundsätzlich das Regime der Bundesabgabenordnung, und die ist beim Eintreiben von Steuern ziemlich humorlos.

Das Konjunkturstärkungsgesetz, das seit September gilt, sieht vor, dass nach dem 15. Jänner 2021 Anspruch auf eine zwölfmonatige Ratenzahlung „unter bestimmten Bedingungen“ möglich ist. Ab diesem Zeitpunkt sind aber Zinsen zu bezahlen. 

„Wir wissen, dass wir hier ein großes Problem haben, aber ehrlich gesagt noch keine profunde Antwort darauf“, ist aus Finanzministeriums-Kreisen inoffiziell zu hören. Denn einerseits muss die Steuerschuld schlussendlich beglichen werden, andererseits will die Regierung daraus resultierende Insolvenzen vermeiden.

Das Problem ist bekannt, die Lösung noch nicht

Das Problem ist in der Tat groß. Die Steuerstundungen haben die Einkommensteuer-Einnahmen im ersten Halbjahr von 1,6 Milliarden in 2019 auf 540 Millionen Euro gedrittelt. Bei der Körperschaftsteuer (etwa die Mindest-KöSt für GmbH.) lag der Rückgang bei 30 Prozent auf 2,1 Milliarden. Die Lohnsteuer-Einnahmen sind dagegen noch leicht gestiegen, auch der Rückgang bei der Umsatzsteuer war trotz „lockdown“ von 17,3 auf 16,5 Milliarden weniger drastisch.

In den Zahlungserleichterungen (siehe Grafik oben) in Höhe von 2,8 Milliarden Euro sind freilich auch Umsatzsteuer- und Lohnsteuer-Stundungen enthalten. Denn die Stundung beschränkte sich nicht auf Ertragssteuern der Unternehmen. Manche Unternehmer haben sich also von Dritten bezahlte Umsatz- und Lohnsteuern stunden lassen. Auf die Lohnsteuer entfielen nach Angaben des Finanzministeriums – im Vergleich zu den 6,4 Milliarden – immerhin 490 Millionen Euro. Das sind vom Arbeitgeber einbezogene Lohnsteuern, die zwar monatlich vom Bruttolohn abgezogen wurden, aber im Unternehmen verblieben. Dass die Arbeitnehmer-Organisationen ÖGB und AK bisher still hielten, mag am Sommer liegen.

Stundungen machen Hälfte des Budgetlochs aus

Insgesamt machen die Steuerstundungen im Bundeshaushalt die Hälfte des 13-Milliarden-Budgetlochs im ersten Halbjahr aus, obwohl sie ja gar keinen echten Ausfall bedeuten sollten. Die große Frage 2021 lautet: Wie kann das Geld zurückkommen, beziehungsweise wieviel davon wird schlagend?

Die Finanzämter spielten bei den Stundungen mit, sagen Steuerberater. „Das ist schon heikel, denn es gibt ja sowas wie Disziplin und Eigenverantwortung. Wenn Finanzämter solche Stundungen ohne Prüfung vornehmen, ist extreme Vorsicht geboten, die ich allen Steuerpflichtigen dringend empfehle“, sagte Wirtschafts-Treuhänder Joseph Böck dazu. 

Eine Frage der Steuermoral

Es gab sogar die vage Überlegung, wegen Corona notleidenden Betrieben eine Steueramnestie zu gewähren. Da schlagen aber alle Rechtsexperten die Hände über den Kopf zusammen, da dies eine krasse Ungleichbehandlung all jener wären, die in der Zeit Steuern bezahlt haben. „Bei einem Arbeitnehmer wird die Lohnsteuer automatisch abgezogen, der kann nicht um Stundung ansuchen. Eine Steuer-Amnestie würde den ÖGB wohl auf die Barrikaden und zum Verfassungsgerichtshof bringen. Und ehrlich gesagt kann ich diesen Argumenten einiges abgewinnen“, sagte Joseph Böck. „Und all jene Unternehmen, die darauf verzichtet haben und die Steuervorauszahlungen geleistet haben, würden sich auch schön bedanken. Für die Steuermoral wäre das verheerend.“

Schramböck: Stundungen werden über Jänner 2021 hinaus verlängert

Da weder Politik noch Verwaltung derzeit Antworten auf die Folgen des Stundungs-Schnellschusses vom März 2020 haben, und die Corona-Gesundheitskrise noch nicht ausgestanden zu sein scheint, geht wohl alles auf eine weitere Verlängerung der Stundungs-Möglichkeit bis weit ins Jahr 2021 hinaus. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck hat dies in einem RMA-Interview jüngst angekündigt. Die Verlängerung erhöht freilich nur die Steuerschuld, die anschließend zu tilgen ist. Allein im vierten Quartal droht der Berg um wenigstens eine Milliarde höher zu werden. Das Finanzministerium will dazu – nach Anfrage – noch keine Schätzung abgeben.

Wie im FN-Artikel „Das 20-Milliarden-Eigenkapitalloch“ vom 25. August 2020 beschrieben, könnte es die Möglichkeit geben, Steuerschulden größerer Betriebe in Beteiligungen umzuwandeln. Das ist derzeit rechtlich unmöglich, es würde ein Verfassungsgesetz brauchen. Dadurch könnte zwar der Eigenkapitalpolster von Mittelbetrieben aufgefüllt werden, aber auch hier gilt: Der Teufel steckt im Detail der Gesetze, Verordnungen und Erlässe.

Breiter Ermessenspielraum der jeweiligen Finanzämter

Wenn die Krise etwas zeigt, vielleicht am Beispiel der Steuerstundungen, dann wohl eine notwendige Verwaltungsvereinfachung. Derzeit werden in Bundesgesetzen bewusst schwammige Formulierungen verwendet, um den darunter liegenden Körperschaften (wie Länder und Gemeinden) und Behörden Umsetzungs-Spielraum zu geben. Das führte zu einem Wildwuchs in der Auslegung von Gesetzen, der in Krisenzeiten zu vermeidbaren, aber vor allem verwirrenden und ärgerlichen Irritationen führt. Im Wirtschaftsbereich bedeutet das Wohlstands- und Arbeitsplatzverlust, der einen Covid-Impfstoff weit überdauern kann.