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Erstellt am 02.10.2019

Backstage 2. Oktober 2019 – Was von den Wahlen übrig bleibt

von Reinhard Göweil

Nach einer Berechnung des Experten Hubert Sickinger verliert die Bundes-FPÖ jährlich fünf Millionen Euro, die SPÖ zirka 2,5 Millionen Euro. Dies ist eine der Auswirkungen der Nationalratswahl, in der die FPÖ 19 Mandate verlor, die SPÖ zwölf. Dass SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda sein Partei-Amt niederlegte, aber im Nationalrat verbleibt, verbessert seine Lebensqualität. Er wird die schmerzhaften Einsparungen seinem Nachfolger überlassen. Vor einer vergleichbaren Herausforderung steht Norbert Hofer bei der FPÖ. Deren Parteienförderung sinkt jährlich von fünf auf 3,25 Millionen Euro. Bei der Klubförderung (Parlament) fehlen nun 700.000 Euro, sie sinkt auf 3,3 Millionen. Und die Parteiakademie („Freiheitliches Bildungswerk“) muss von 1,9 auf 1,5 Millionen abspecken. Das wird wohl ohne personelle Opfer nicht zu machen sein, denn Kredite wird die Partei wohl nicht genießen können.

Aber auch bei der SPÖ ist es dramatisch. Das Minus bedeutet eine jährliche Mindereinnahme von 20 Prozent, die durch die – von ihr selbst beschlossene – Spendenobergrenze keinesfalls gemildert werden kann. Wenn also die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner eher holprig von einem „Strukturanpassungsprozess“ spricht, horcht sich das mehr wie ein Sparprogramm an und weniger nach inhaltlicher Erneuerung. Die SPÖ wird beides zu stemmen versuchen müssen.

Als Vorbild können beiden Parteien die Grünen dienen. Sie sind ja 2017 aus dem Nationalrat geflogen. Mit dem Wahlerfolg fließen auf Bundesebene insgesamt 9,5 Millionen Euro an sie. 4,4 Millionen Euro entfallen auf Parteienförderung, und das Geld wird wohl zum Teil benutzt werden, um die Kredite, die von den Bundes-Grünen zuletzt bei den Landes-Organisationen der Partei aufgenommen worden waren, zu tilgen. Kann also leicht sein, dass Norbert Hofer und Pamela Rendi-Wagner bei Werner Kogler vorstellig werden um zu erkunden, wie eine Durststrecke überbrückt werden kann.

Die weiteren Wahlsieger ÖVP und Neos können sich über ein 20prozentiges Plus bei den Förderungen auf Bundes-Ebene freuen.

Legistische Intransparenz

Insgesamt werden so mehr als 62 Millionen Euro ausgeschüttet. Da es aber in den Bundesländern und großen Städten zusätzlich Parteienförderung gibt, summiert sich alles auf mehr als 200 Millionen Euro jährlich.

Der Betrag ist eine Schätzung, denn es gibt in der Republik keine Stelle, die alles erfasst. So gibt es für die Bundesebene zwar im Bundeskanzleramt (BKA) eine Abteilung, die für die Auszahlung zuständig ist, aber nur für Bundes-Parteien und deren Parteiakademien. Die Klubförderung wird übers Parlament abgerechnet. Und von den Landes- und Gemeinde-Förderungen weiß das Bundeskanzleramt nichts.

Dass die dortigen Beamten trotzdem gut beschäftigt sind liegt am Umstand, dass sich die Berechnung der jeweiligen Förderungen gleich auf mehrere Gesetze verteilen: Parteien-, Publizistikförderungs- und Klubförderungsgesetz.

So hört sich die geforderte Transparenz auf, bevor sie noch begonnen hat. Nur Spezialisten blicken da noch durch. Um etwa die gesamte Förder-Summe, die bei einer Partei landet zu erfahren ist es unumgänglich, bei Bundeskanzleramt, Parlament, neun Landesregierungen, neun Landtagen und wenigstens bei 16 Landeshaupt- sowie Statutarstädten einzeln zu recherchieren. Dazu kommen die Fraktionen in den Gewerkschaften und diverse Bünde.

Wem dies nicht abgeschreckt hat, ist aber auch nicht wirklich gescheiter geworden. Denn – im Gegensatz zu Deutschland – müssen heimische Parteien und ihre nahestehende Vereine keine Vermögensaufstellung machen. In welchem Verhältnis also Schulden zu Vermögen stehen, bleibt also im Dunkeln. Auf welches Zahlengerüst sich also Banken stützen, die Parteien Kredite geben, bleibt ein gewisses Mysterium. Fix ist nur, dass private Haushalte und Firmen auf derartige Konstruktionen niemals kreditwürdig wären.

 Das Ende der SPÖ als Volkspartei?

„Die Richtung stimmt.“ Diesen Satz wird Rendi-Wagner wohl nicht so schnell loswerden. Zwei Stunden nachdem feststand, dass die SPÖ von 27 auf knapp 21 Prozent Wählergunst abgerutscht ist, sagte sie diesen Satz. Er zeigt, wie wenig angekommen sie in der Politik ist.

„Menschlichkeit siegt.“ Der Slogan der SPÖ wäre schön, wenn sie dazu gesagt hätte, worin denn diese siegende Menschlichkeit besteht. Die Umsatzsteuer auf Mieten abzuschaffen ist es eher nicht.

Es stellt sich also die Frage, wie sehr sich die SPÖ als Volkspartei behaupten wird können. Eher seltsam muten die Aussagen von Spitzenfunktionären wie den niederösterreichischen SP-Chef Franz Schnabl an. Der beklagte, dass die ÖVP in Tulln 5000 Leute zu einem Kurz-Auftritt brachte. Die SPÖ sei dazu derzeit nicht in der Lage, da müsse sich was ändern. Nun ist Schnabl der Landesparteivorsitzende, wer also außer ihm wäre in der Lage, dies zu tun?

Tatsächlich klingen die Analysen vieler SP-Funktionäre als ob sie nicht selbst in Verantwortung stehen, sondern von außen Ratschläge erteilen.

Mein Kollege Johannes Huber von „Substanz“ überlegte jüngst, ob die Grünen nicht die neue Volkspartei der linken Mitte werden, und die SPÖ in dieser Rolle ablösen. Ausgeschlossen ist es nicht, in Deutschland sind die Grünen in Umfragen mittlerweile doppelt so stark wie die ebenfalls überaus strukturkonservative SPD. Auch in Österreich kreuzen viel mehr Junge die Grünen an als die SPÖ.

Der Hinweis vieler Polit-Experten auf die historischen Verdienste der Sozialdemokratie mag daher stimmen, ist aber eher bedeutungslos. Digitalisierung und neue Arbeitswelten lassen sich nicht mit den Rezepten des frühen und mittleren 20. Jahrhundert lösen.

Das freie Spiel der Kräfte im Parlament geht munter weiter

Sondierungsgespräche und Koalitionsvarianten überdecken derzeit eine spannende Sache: Am 23. Oktober 2019 wird sich der neu gewählte Nationalrat konstituieren, also inklusive der 26 Grünen-Abgeordneten. Das Ende der Koalitions-Verhandlungen wird dagegen von Parteimanagern irgendwo zwischen Weihnachten und Ostern 2020 (das wäre Mitte April!) verortet. Bis dahin ist die Regierung Bierlein im Amt und bis dahin geht das sogenannte „freie Spiel der Kräfte“ einfach weiter. Es ist also durchaus denkbar, dass bis dahin einige der aktuellen „Stolpersteine“ gesetzlich entschärft werden. Die FPÖ wird mit einem Klubobmann Herbert Kickl wenig Lust haben, auf die ÖVP Rücksicht zu nehmen. Und die erstarkten Neos (von 10 auf 15 Abgeordnete) sowie die Grünen (26) könnten hier durchaus für Gesetzes-Initiativen sorgen, die Überraschungen bergen. Grünen-Chef Werner Kogler will ja das Parlament insgesamt stärken.

Wirtschaftswachstum schwach, EU braucht Finanzrahmen bis 2027

Eine Entwicklung wird die „verwaltende Regierung“ Bierlein und den neu zusammengesetzten Nationalrat sicherlich beschäftigen: Die Wirtschaftsaussichten sind eher bewölkt, im Ernstfall könnte sich das Wachstum von 2,7 Prozent im Jahr 2018 auf knapp unter ein Prozent dritteln. Das AMS hat bereits angekündigt, dass die Arbeitslosigkeit 2020 wohl steigen wird. Besonders betroffen vom Abschwung ist die heimische Industrie. Hier sind auch die Sozialpartner gefordert.

Je eher hier – etwa durch eine Steuerreform inklusive der versprochenen Änderungen des Einkommensteuergesetzes – gegen gesteuert wird, desto besser. Wenn es tatsächlich erst im kommenden Jahr eine neue Regierung geben wird, wird wertvolle Zeit einfach vergeudet.

Auch der neue EU-Finanzrahmen bis 2027 steht bis spätestens Anfang 2020 zur Beschlussfassung an, ihn wird wohl noch der aktuelle Finanzminister Müller verhandeln müssen. Und Vorgaben von einem Parlament bekommen, das möglicherweise weder Regierungs- noch Oppositionsfraktionen kennt. Dabei wird es aber um die Finanzierung wesentlicher Bereiche wie die Landwirtschaft, der ländliche Raum, regionale Förderungen, Forschung, etc. gehen, die bis 2027 Gültigkeit haben werden. Die Rede ist hier von insgesamt 1100 Milliarden Euro für die gesamte Periode. Im dazugehörigen Budgetausschuss des Europaparlaments sitzen zwei österreichische Abgeordnete: Angelika Winzig (Volkspartei) und Monika Vana (Grüne). Und über allem schwebt auf europäischer Ebene der ungeklärte Brexit.