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Erstellt am 08.05.2021

and the winner is… – Siegfried Wolf

von Reinhard Göweil

Sie gehören zur industriellen DNA Oberösterreichs, die ehemalige Steyr-Daimler-Puch AG. „Steyr-Werke“ werden sie schlicht genannt, so als ob Unternehmen und Stadt eine unauflösliche Einheit darstellten. Das war auch so. Deren Betriebsräte stellten SPÖ-Bürgermeister, gaben – gemeinsam mit den „Voestlern“ – der Gewerkschaft den Weg vor. Doch zur wechselvollen Geschichte kommen wir später.

Die Gegenwart ist aufregend genug, auch in der spielt ein Betriebsrat eine Rolle, allerdings ein deutscher. Der VW-Konzern, als Eigentümer von MAN, will das Werk in Steyr bekanntlich schließen. 2300 Mitarbeiter waren dort beschäftigt, aktuell sind es knapp unter 2000. Der Unternehmer Siegfried Wolf, der an der Seite von Frank Stronach als Magna-Chef bekannt wurde, hat ein Angebot gelegt, das Werk von MAN zu übernehmen, 1250 Mitarbeiter und 166 Lehrlinge sollen demnach übrig bleiben. Die Arbeiter in Steyr, immer etwas kampfeslustiger als andere Belegschaften, lehnten das Angebot in einer Abstimmung ab. So weit, so bekannt.

Unbekannt ist der Kaufpreis, der dürfte sich aber – so Insider – in überschaubaren Größenordnungen bewegen. Denn MAN steht als Lkw-Produzent von VW vor einem gewaltigen Umbau. Erstens geht es dem Verbrennungsmotor auch bei den schweren Lastern an den Kragen – Elektroantriebe und Brennstoffzellen (Wasserstoff) werden derzeit entwickelt. Zum anderen kaufte VW gerade in den USA den Lkw-Hersteller Navistar, stellt sich also global auf. 12.000 Mitarbeiter hat alleine der US-Hersteller, der VW-Konzern zahlt dafür knapp vier Milliarden US-Dollar.

In Steyr sind die Personalkosten hoch, das waren sie immer. Die Überzahlungen und diverse andere Abrechnungen im Schichtbetrieb sind üppig. In Polen produziere man billiger, so die lakonische Begründung von MAN. Außerdem würden in Deutschland auch zwei Werke geschlossen. Nicht dazu gesagt wird, dass in diesen beiden Werken insgesamt 200 Mitarbeiter betroffen sind. Der gesamte Lkw-Konzern hat mehr als 66.000 Mitarbeiter.

Für Steyr und den Industrie-Standort Österreich wäre die Schließung des Werkes ein Aderlass

Siegfried Wolf soll es also richten, die deutsche Konzernmutter verhandelt exklusiv mit ihm. Oberösterreichische Industrielle verweisen dabei – neben dem vorgelegten Konzept – auf die Verbindungen von „Sigi“ Wolf. Und zwar nicht jene nach Russland und in den Kreml, sondern zu VW. Immerhin ist der 63jährige Manager Aufsichtsrat der Porsche SE, die mehr als 53 Prozent an VW-Stammaktien hält. Hinter der Porsche SE stehen die Eigentümerfamilien Piech und Porsche. Ein Verkauf an Wolf hätte – so die Insider ob der Enns – für VW bzw. dessen Lkw-Tochter den Charme, dass man das Werk aus der Bilanz draußen hat, aber trotzdem noch ein Auge darauf werfen kann. Ein Verkauf an einen wesentlichen Mitbewerber wie beispielsweise Volvo, Daimler oder gar an China kam nie in Frage. Denn die Ingenieurs-Kunst in Steyr wird branchenweit geschätzt, MAN will sicher nicht die Konkurrenten unterstützen.

Wie es derzeit ausschaut wird Wolf wohl schlussendlich den Zuschlag erhalten, und für MAN als Lohnfertiger für wenigstens zwei Jahre tätig bleiben. Daneben will Wolf Lkw und Transporter für den russischen Hersteller GAZ herstellen und die Marke „Steyr“ wieder beleben. An GAZ ist Wolf beteiligt. Die Nähe Wolfs zum Kreml wird gegen ihn ins Treffen geführt – angesichts der bestehenden EU- und USA-Sanktionen gegen russische Institutionen und Firmen. So ist Wolf auch Aufsichtsratspräsident der Sberbank Europe. Diese Europa-Tochter mit Sitz in Wien gehört der russischen Großsparkasse und die wiederum dem russischen Staatsfonds. Nun könnte die Europa-Bank verkauft werden, im Gespräch als Käufer ist die Erste Group.

Siegfried Wolf ist allerdings auch in Österreich bestens vernetzt, auch zu Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der wollte ihn zum Aufsichtsratschef der Staatsholding ÖBAG machen, was allerdings misslang. Zudem sitzt Wolf im Aufsichtsrat der Miba AG. Der international agierende Metallurgiekonzern der Familie Mitterbauer mit Sitz in Oberösterreich ist auch Zulieferer in die Autoindustrie. Dazu kommen mannigfaltige Immobilien und landwirtschaftliche Güter.

Die imposante Karriere eines Werkzeugmachers

Der gelernte Werkzeugmacher aus der Steiermark hat also eine imposante Karriere gemacht. Seinen Wohlstand verdankt er Frank Stronach, als Chef von Magna International führte er das Unternehmen durch manche Fährnisse, was erheblich belohnt wurde.

Nun soll er die Steyr-Werke retten, sein Konzept sieht freilich auch einen Mitarbeiterabbau von fast 40 Prozent vor sowie Lohneinbußen für die verbleibenden 1250 Beschäftigten in Höhe von zirka 15 Prozent.

Für die stolzen Steyr-Arbeiter ist das starker Tobak. Die 1864 aus der Gewehrfabrik von Leopold Werndl entstandene Industrie-Ikone in Steyr wurde von damaligen Eigentümer Creditanstalt nach massiven Verlusten ab 1987 filetiert. Fahrrad- und Moped-Produktion gingen an Piaggio, Wälzlager an SKF, Lkw an MAN, Gewehre an Mannlicher, Panzer an den US-Konzern General Dynamics, Traktoren an Case. Der immer noch imposante Rest ging an Magna. Deren nunmehriges Grazer Automobilwerk gehörte damals dazu.

Der damals als Magna-Manager tätige Wolf kennt sich also bestens aus, keine Frage. Wie groß sein unternehmerisches Risiko beim nunmehrigen Angebot ist, ist nicht bekannt.

Was fehlt in Österreich? Unter anderem Industriepolitik

Beträchtlich ist das Risiko freilich für die Republik, und es offenbart sich ein industriepolitisches Versagen: Österreichs Industrie ist besonders stark im automotiven Bereich. Dass die Klimaschutz-Politik fossilen Brennstoffen und den darauf aufgebauten Auto-Motoren den Garaus machen wird, ist seit Jahren zu sehen. Natürlich war die Auto-Industrie lange Zeit lange Zeit nicht willens, dies zu akzeptieren. Nun ist sie es, nicht zuletzt weil Tesla mit viel geringeren Stückzahlen an der Börse fast 700 Milliarden wert ist, der Branchenprimus VW dagegen etwa 120 Milliarden. Die Investoren haben ihre Entscheidung getroffen.

Die heimische Industriepolitik hat hier jahrelang schlicht weggeschaut, und nun stehen manche Zulieferer vor dem Problem, hervorragende Komponenten zu fertigen, die in E- und Wasserstoff-Fahrzeugen nicht mehr gebraucht werden. Mobilität spielt sich viel stärker im digitalen Bereich ab. Nicht länger ein strauchelnder Getriebe-Hersteller, sondern fehlende Verfügbarkeit von Chips bringen heute Autowerke zum Stillstand.

Regierung zögerlich, SPÖ zu schlicht

Der Zugang der SPÖ, das Werk in Steyr teilweise zu verstaatlichen, ändert daran auch nix, ist also auch zu schlicht. Ein staatlicher Eigentümer hilft nicht, wenn der Markt verschlafen wird. Die EU hat nun neue industriepolitische Leitlinien verfasst, um solche Umbrüche in Forschung und Förderung zu unterstützen. In Österreich ist wenig zu hören, im EU-Aufbauplan findet sich dafür das – im föderalen Dschungel verstrickte – 1-2-3-Ticket für den öffentlichen Verkehr. Industriepolitik ist das nicht.

In dieses Vakuum stoßen Unternehmer wie Siegfried Wolf. Deren Konzept geht zwar in die richtige Richtung, aber eine Börsenotierung oder wenigstens Anleiheprospekte würden Transparenz schaffen, die es Öffentlichkeit und öffentliche Förderstellen leichter machen, die strategische Ausrichtung begleiten zu können. Aber auch dazu fehlt es an Anreizen seitens der Politik.

Raiffeisen OÖ hilft

Dafür steigt Siegfried Wolf nun wieder in den Ring, er wolle sein Angebot nachbessern, schrieb die „Kronen Zeitung“, die zu Wolf ein gutes Verhältnis pflegt. Das Land Oberösterreich hilft mit einer Arbeitsstiftung für 150 Beschäftigte mit und Siegfried Wolf hat nun mit Raiffeisen Oberösterreich – vermutlich über deren Stiftung – einen weiteren Investor an Bord. Zudem scheint MAN im Wort zu sein, wenigstens zwei weitere Jahre Lkw aus Steyr übernehmen zu wollen.

Und der „mächstigste Mann Wolfsburgs“ hilft auch

Und noch jemand wird Wolf bei den Arbeitern in Steyr beistehen, und der kommt bzw. kam aus ihren Reihen. Der „mächtigste Mann von Wolfsburg“ (dem Stammwerk von VW, Anm.), Bernhard Osterloh, legte den VW-Betriebsratsvorsitz zurück und wird Vorstand bei „Traton“. So nennt sich jene VW-Holding, unter der die Lkw von MAN, Scania und nun Navistar gefertigt werden. Der deutsche Osterloh hat exzellente Kontakte zu den Familien Piech und Porsche und holte in der Vergangenheit viel für die VW-Belegschaft heraus. Auch er wird als Gewerkschafter der Schließung eines so großen Werkes wie in Steyr nicht tatenlos zusehen, noch dazu wenn der Käufer jemand ist, den die Eigentümerfamilien auch gut kennen.

Siegfried Wolf wird also am Ende des Tages als Eigentümer in Steyr dastehen, auch wenn es bis dahin noch so manchen Schaukampf zwischen Konzernführung und Betriebsrat zu betrachten geben wird. Ob und welche Exit-Strategie der clevere Wolf heute schon im Hinterkopf hat, weiß nur er.

Wolf kauft der Politik Zeit, die sie verschlafen hat

Immerhin würde Siegfried Wolf der heimischen Politik damit etwas Zeit verschaffen. Regierung und Gewerkschaften könnten sich – nach dem Desaster bei ATB und dem Warnschuss bei Steyr – um ein industriepolitisches Konzept bemühen, das den Namen verdient und in so guten Industriestandorten wie Steyr Aufbruch ermöglicht. Ob diese Zeit genutzt wird, ist offen. Und wie lange das Fenster offen ist auch. Wolf sagte, so sein Sprecher Josef Kalina, dass er sich eine Verringerung der Anteile vorstellen kann, aber niemals unter 25 Prozent plus eine Aktie gehen wird. Wie viel Raiffeisen Oberösterreich vorerst übernimmt, war am 8. Mai noch nicht bekannt.

 

aktualisiert am 8.5.2021 um 16 Uhr 51.